Das Wörterbuch des Joseph Wittek von Salzberg (WWB)
Edition und Analyse eines (Rechts-)Wörterbuches im Gefüge sprachwissenschaftlicher Arbeiten zur historischen Lexikographie des deutschsprachigen Raumes im späten 18. Jh. und eines frühen Beitrages zur Grammatikographie des Fnhd.
Die Sprachstufe des Frühneuhochdeutschen, oft als Epoche sprachlichen Umbruchs, als Übergangs- oder Zwischenstufe und als Phase großer Uneinheitlichkeit, Beliebigkeit und gar Willkürlichkeit beschrieben, wird erst spät im 19. Jh. – im Zuge der Herausbildung der Germanistik als eigenständigem Wissenschaftsfach – als Gegenstand philologisch motivierter Forschung entdeckt und als eigenständige Periode der deutschen Sprache überhaupt definiert.
Doch schon wesentlich früher – zu einer Zeit, zu der deutsche Sprachgelehrte noch damit beschäftigt waren, ihre eigene, zeitgenössische Sprache zu beschreiben – war in anderen Fachwissenschaften aus rein sachlichen Zwängen die Beschäftigung mit vergangenen Sprachzuständen und damit auch mit der Sprache der frühneuhochdeutschen Zeit längst notwendig geworden.
Der „Entwurf eines Wörterbuchs für Praktiker zur Erklärung deutscher Urkunden aus dem Mittelalter in einem Handbuche.“ ist ein in der germanistischen Forschung bislang nahezu unbeachtet gebliebenes, seinem Lemmabestand nach frühneuhochdeutsch / mittelhochdeutsches Wörterbuch, das Übersetzungen ins Neuhochdeutsche des späten 18. Jhs., teils auch ins Latein bietet.
Dieses Wörterbuch wurde erstellt und herausgegeben von Joseph Wittek von Salzberg. Es beinhaltet in seinem glossarischen Teil großenteils – aber nicht nur – Rechtsbegriffe bzw. rechtsrelevante Begriffe aus mittelalterlichen Urkunden.
Das Witteksche Wörterbuch (WWB) ist ein heute selten gewordener Druck, eine Prager juristische Dissertation aus dem Jahr 1796.
Qua seines Titels (der das Werk lediglich einem zeitgenössischen Demutsgestus folgend als „Entwurf“ anspricht) und seiner Anlage hat der Verfasser das WWB nicht nur als Wörterbuch, sondern als ein praktisches Handbuch konzipiert. Dem glossarischen Teil steht daher eine sprachbetrachtende Einleitung voran.
Diese stellt ob ihrer bemerkenswert frühen Entstehung eines der ältesten Zeugnisse wissenschaftlicher Beschäftigung mit Lexik, Graphemik wie auch teilweise Grammatik des Frühneuhochdeutschen – mit Schwerpunkt auf der mhd./fnhd. Urkundensprache – überhaupt dar.
Allein seiner Einleitung wegen hat das WWB einen einmaligen Quellenwert.
Für diesen Text, der laienlinguistisch und doch kenntnisreich die sonst kaum greifbare Sichtweise des 18. Jhs. auf das Sprachstadium des Frühneuhochdeutschen konserviert, ist zum momentanen Zeitpunkt keine adäquate Bearbeitung vorhanden. Im Zuge des Projektes wird eine dokumentierende wie kommentierende Edition erstellt.
Gleichzeitig wird eine weitere Besonderheit des WWB in den Fokus gerückt.
Das Wörterbuch ist für eine Bearbeitung interessant, weil es – im Gegensatz zu anderen, gängigen Wörterbüchern der Zeit, die in der Regel aus philologischem Interesse an der Sprache entstanden sind und daher in ihren Wörterbuchprogrammen eine entsprechende Prägung zeigen – einen Blick auf die Belange derer ermöglicht, die im späten 18. Jh. aus sachlicher Notwendigkeit im juristischen Arbeitsalltag sprachliches Wissen zum Mhd. und Fnhd. brauchten.
Die zu Witteks Zeit und für dessen Zielgruppe vorhanden gewesenen Wörterbücher erwarten vom Benutzer nicht wenig sprachwissenschaftliches Vorwissen. Sie sind sowohl auf Schöpfungs- wie auf Rezeptionsseite philologische Produkte – also von Philologen für Philologen.
Das WWB wurde für ‚Praktiker’ geschrieben, „aber ein Praktiker will nicht altdeutſch ſprechen, oder in dieſem Stile Aufſätze machen können, ſondern nur einzelne Worte, wie ſie ſchon geſchrieben, und hervorgebracht ſind, verſtehen“ (Wittek von Salzberg). Recherchen in Prag und Wien haben ergeben, dass Witteks Werk nicht der Gegenstand dessen Doktorarbeit ist, obwohl die Informationen des Titelblatts dies zumindest nahelegen. Es wurde vielmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit als Ergebnis und Arbeitsmittel für und während praktischer juristischer Tätigkeit erstellt. Das dem WWB zugrunde liegende Wörterbuchprogramm unterscheidet sich mithin nicht unerheblich von den gängigen der Zeit.
Ziel des Dissertationsprojektes ist also neben der Edition auch die Einordnung des WWB in die kontemporäre Wörterbuchlandschaft, was die Untersuchung der lexikographischen Tradition bis zur Romantik und des Selbstverständnisses der zeitgenössischen deutschen Lexikographie einschließt.
Damit verbunden wird der Vergleich sprachwissenschaftlicher mit laienhafter Sicht auf ein Sprachstadium, dessen Betrachtung im Rahmen einer germanistischen Frühneuhochdeutschforschung erst fast ein Jahrhundert später einsetzt.
Teilergebnisse der bisherigen Arbeit zeigen, dass die in den untersuchten Beständen der Prager Archive vorhandenen Informationen textgenetische Untersuchungen zu möglichen Quellen des Werkes nicht zulassen. Es ist nach bisherigem Kenntnisstand weder möglich, Quellen zu benennen noch diese zu rekonstruieren. Nichtsdestotrotz ist eine grobe lokale Einordnung der verwendeten Quellen anhand von dialektalen Merkmalen der im Wörterbuch auftauchenden Lemmata möglich. Zwischenergebnisse zeigen eine überraschend große Streuung der dialektalen Varianten über den gesamten deutschen Sprachraum bis in niederdeutsche Regionen auf.
Sachverhalte, die aus Witteks Leben vor größere historische Kontexte (Aufklärung, Umbau der österreichischen Monarchie, zeitgenössisches Bildungssystem in Preußen und Österreich) zu projizieren sind, machen interessante Beziehungen sichtbar und lassen Erklärungen zu den eher ungewöhnlichen Entstehungshintergründen des WWB zu.
In aufeinander aufbauenden Teilen
- werden biographische wie auch gesellschaftshistorische und rechtshistorische Zusammenhänge beschrieben,
- wird der grammatikographische Teil des WWB umfassend analysiert,
- wird der glossarische Teil des WWB beschrieben, analysiert und kommentiert,
- wird in einer textgenerischen Untersuchung das WWB im Gefüge der zeitgenössischen Wörterbücher beschrieben.
Schließlich werden ausgewählte Exemplare des WWB erläutert und die Wirkung des WWB bzw. seine Rezeptionsgeschichte nachzuzeichnen versucht.
Stand. Mai 2007
Kontakt
Rainer Krause, MA.: rainer.krause@germanistik.uni-halle.de