Zum Stand der Dinge. Form und Funktion von Gegenständen in der Literatur und in den Bildenden Künsten
Tagung am 24./25. Juli, 2025
an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Konzipiert und organisiert von Dr. Christian Drobe und Dr. Johanna-Charlotte Horst


Programm
T-Shirts, Bücher, Putzmittel, Glühbirnen und viele andere Dinge sind auf dem Gemälde Everything I have von Simon Evans visuell aufgelistet. Der Künstler katalogisiert hier seinen buchstäblich überschaubaren Besitz. Everything I have ist Teil eines mehrteiligen Kunstwerkes, das den Titel Island Time trägt und sich mit Robinson Crusoes Inseldasein auseinandersetzt. In der Geschichte Crusoes spielen Dinge eine überlebenswichtige Rolle. Auch in weniger dramatischen Krisen gewinnen Dinge an Bedeutung. Wie man anhand der Prepper-Einkäufe zu Corona-Zeiten beobachten konnte, versprechen sie Sicherheit in Momenten des Kontrollverlustes.
Während der Ding-Diskurs zu Beginn des Jahrtausends an marxistische Theorien anknüpfte und das Ding als potentiellen, wenn auch problematischen Bedeutungsträger untersuchte, stellt sich vor dem Hintergrund gegenwärtiger Debatten um Nachhaltigkeit sowie um Praktiken des Recycelns und Reparierens die Frage nach den Dingen noch einmal neu. Sind wir in einer postkonsumistischen Epoche angekommen? Werden Dinge im Postdigitalen immateriell oder werden sie gar gänzlich verschwinden? Wird sich unser Umgang mit Dingen verändern, indem wir sie etwa im Internet der Dinge kontaktlos steuern? Der Tendenz zur materiellen Auflösung, der diese Fragen entspringen, setzt sich eine Kultur der Manufactumisierung entgegen. Die ‚guten alten Dinge‘ werden als Insignien eines achtsamen und bewussten Lebens ästhetisiert, dessen vermeintliche Einfachheit extravagant kostspielig ist.
Ästhetische Verhandlungen spiegelten aber immer schon den aktuellen Stand der Dinge wider. So weisen Dingdarstellungen im 19. Jahrhundert in Form des Dekorums von Innenräumen das Bürgertum als tonangebendes Personal sowohl des literarischen als auch des bildlichen Realismus aus. Dabei sind die Dinge nicht mehr mit einer allegorischen oder symbolischen Referenzialität ausgestattet, sondern erhalten gerade aufgrund ihrer semiotischen Opazität eine Bedeutung, die Roland Barthes mit der Rede vom ‚effet de réel‘ auf den Punkt gebracht hat. Als Gegenbewegung zum Überfluss an Dingen, die in Warenhäusern feilgeboten werden, stößt man in der surrealistischen Kunst und ihren ‚objets trouvés‘ unvermittelt auf Dinge als Reste des Konsums. In der Neuen Sachlichkeit sowie im Nouveau Roman wird wiederum reflektiert, auf welche Weise bestimmte Produkte zu Statussymbolen werden. In ihrer darstellerischen Klarheit wirken die Objekte unmittelbar ‚echt‘ und verweisen zugleich auf eine übergeordnete Bedeutung. Die Pop-Kunst nimmt diese Fäden spielerisch wieder auf und wird dabei zum Archiv der Konsumgesellschaft. In den letzten Jahren beobachten wir Rekonfigurationen des Dingarchivs unter digitalen, postdigitalen und retrograden Vorzeichen, die den Diskurs auf die Vergangenheit wieder öffnen.
Von diesen Überlegungen ausgehend möchten wir auf unserer Tagung verschiedene Formen der ästhetischen Arbeit mit und an den Dingen diskutieren. Dabei stehen die Gemeinsamkeiten sowie die Unterschiede in der Literatur und den bildenden Künsten im Fokus. Dingästhetik, Materialität oder die Tätigkeit des Sammelns verweisen – wie in Simon Evans gemalten Ding-Listen – über die Ekphrasis oder bildliche Verdichtungen in den Bereich der jeweils anderen Gattung. Anhand solcher und anderer Fallbeispiel soll der Blick auf den gegenwärtigen Stand der Dinge gerichtet werden.